Aurich als Sitz der Provinzregierung verlangte natürlich bald nach dem Bau der Hannöverschen Westbahn ebenfalls nach einem Bahnanschluss. Der Bau einer Strecke von Neermoor über Aurich nach Norden – die Emden in eine Randlage gebracht hätte – und andere, ähnliche Vorschläge wurden indes nicht weiter verfolgt. Konkreter wurde bald die Planung einer Strecke, die sich grob an der Küstenlinie orientieren sollte. Für die Strecke Emden – Norden wurde 1869 eine ausführliche Kostenberechnung aufgestellt, die auf Baukosten in Höhe von 825.000 Reichsthalern kam.
Ernsthaft in Erwägung gezogen wurde dagegen, von Emden eine Eisenbahnstrecke direkt nach Aurich zu bauen, die in der Karte „zur Übersicht der Eisenbahnen“ von 1875 neben der später ausgeführten Streckenführung noch eingezeichnet ist (siehe unten). Dafür wurde 1871 ebenfalls ein ausführlicher Kostenvoranschlag erstellt, der für die Haltestellen Mittelhaus und Fahne sowie den Bahnhof Aurich (mehr Stationen sollte es nicht geben) sogar Gleisplan-Entwürfe enthält. Die berechnete Summe belief sich auf 695.000 Thaler.
Gebaut wurde schließlich doch die „Ostfriesische Küstenbahn“ von Emden über Norden nach Jever. Zwar wurde Aurich berücksichtigt, die Provinzhauptstadt wurde aber nur über eine Stichstrecke von Georgsheil aus angebunden, die am 15. Juni 1883 in Betrieb ging. Auch zur oft angeregten Verlängerung der Staatsbahnstrecke von Aurich nach Wittmund oder Sande kam es nie.
In den Jahren 1903 bis 1906 wurde die Küstenbahn zwischen Emden und Norden auf eine eigene Trasse verlegt, da der Betrieb unmittelbar neben der Landstraße wegen der damit verbundenen Einschränkungen unhaltbar geworden war. Dafür wurde ein neuer Abzweigbahnhof erforderlich, der westlich von Georgsheil entstand: der heutige Bahnhof Abelitz.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann der langsame Abstieg der Verbindung, schließlich wurde zum September 1967 der Personenverkehr nach Aurich eingestellt. Ende 1993 war auch Schluss mit dem Güterverkehr, der zum 1. Januar 1994 offiziell eingestellt wurden. Bis 1996 sollte der Anschluss des Marinemunitionsdepots in Aurich-Tannenhausen erhalten bleiben, dann verlagerte auch die Bundeswehr ihren restlichen Frachtverkehr auf LKW.
Ständig zunehmende Transportmengen lenkten den Blick der örtlichen Wirtschaft nach dem Jahr 2000 aber zurück auf die Schiene. Am 17.03.2008 wurde die Strecke ein zweites Mal abgenommen, wenn auch „nur“ als Industriestammgleis. Nach langen Jahren des Wartens (siehe unten) wird der Güterverkehr am 4. April wieder aufgenommen. Die Wiederbelebung des Personenverkehrs wurde lebhaft diskutiert, aber scheint wieder in weite Ferne gerückt zu sein.
Die Stationen: Abelitz, Georgsheil, Victorbur, Moordorf, Walle, Aurich.
Anschluss besteht in Abelitz an die Ostfriesische Küstenbahn und in Aurich an die Kleinbahn Leer-Aurich-Wittmund.
Zur Orientierung sind bei den Stationen die Streckenkilometer laut Buchfahrplan Heft 2B (gültig vom 28.05.1972) der Deutschen Bundesbahn angegeben.
ABELITZ (km 0,0)
Der Bahnhof Abelitz entstand erst bei der Verlegung der Küstenbahn weg von der Landstraße auf eine eigene Trasse. Er erhielt zunächst den Namen Finkenburg (nach der vormaligen Haltestelle an der Chaussee Emden-Georgsheil), wurde aber bereits zum 1. Mai 1909 in Abelitz umbenannt.
Vor Beginn der Streckensanierung war die Einfahrt aus Richtung Aurich völlig verkrautet und das zweiflügelige Einfahrtsignal hatte seinen oberen Flügel verloren.
GEORGSHEIL (km 2,7)
Die Karte zeigt die Situation in Georgsheil vor der in den Jahren 1903 bis 1906 erfolgten Verlegung der Küstenbahn. Auf der alten Trasse der Strecke nach Norden lag zwischen früherem Bahnhof und der Straßen nach Norden auch im Oktober 2006 noch ein Gleis (ehemaliger Anschluss), von der Brücke über den Abelitz-Moordorf-Kanal (am oberen Kartenrand) zeugen noch Reste.
Die Widerlager der Eisenbahnbrücke über den Abelitz-Moordorf-Kanal sind noch vorhanden, westlich direkt daneben liegt die Brücke der Bundesstraße nach Norden.
VICTORBUR (km 6,0)
Die unweit des Ringkanals angelegte Haltestelle Victorbur verfügte sogar über ein Ladegleis. Laut einer Aufstellung der Reichsbahndirektion vom 1. April 1928 war sie zu diesem Zeitpunkt unbesetzt und ohne Güterverkehr.
MOORDORF (km 8,2)
Der Bildtitel „Bahnhof“ ist etwas übertrieben aber werbewirksam: Auch Moordorf verfügte nur über einen Haltepunkt, dessen Bahnsteig und H-Tafel hier in der rechten Bildhälfte zu sehen sind.
WALLE (km 10,1)
An Walle fuhren die Züge über ein Jahrzehnt lang nur vorbei. Am 12. Januar 1895 erscheint in den Auricher Nachrichten dann eine Bekanntmachung der Eisenbahndirektion Köln (rechtsrheinische) vom 05.01., dass zum 1. Februar des Jahres dort ein Haltepunkt für den Personenverkehr eingerichtet wird, wenn auch nur mit beschränktem Gepäck- und ohne Güterverkehr. Auch ist der Haltepunkt unbesetzt (so noch 1928).
AURICH (km 13,2)
Aurich war immerhin Hauptstadt der Provinz bzw. später des Regierungsbezirkes Ostfriesland und hatte sich vom Bau einer Eisenbahn entlang der Küste deutlich mehr versprochen. Aber auch wenn anfangs noch Streckenverläufe wie Neermoor – Aurich – Norden oder Emden – Aurich – Wittmund im Gespräch waren, hat es doch nur zum Endpunkt einer in einfachster Weise ausgeführten Nebenbahn gereicht. Entsprechend der Bedeutung für den Eisenbahnverkehr erhielt Aurich ein mittelgroßes Empfangsgebäude und Gleisanlagen von eher überschaubarem Umfang.
Im Kursbuch 1914 sind zwar 17 Zugpaare aufgeführt, davon eines nur an Werktagen, eines nur an Sonn- und Feiertagen. Aber nur vier davon fuhren bis/von Emden und das bedeutete für die meisten Reisenden Umsteigen in Abelitz. Wenigstens gab es zeitweise Kurswagen bis Berlin, die den Regierungsbeamten und Geschäftsleuten das Reisen etwas erleichterten.
1899 wurde aus Aurich dann doch noch ein Übergangsbahnhof, als die Kreisbahn Wittmund-Aurich-Leer den Betrieb zwischen Aurich und Wittmund aufnahm und kurze Zeit später auch deren Strecke nach Leer folgte.
Dieses von unbekannter Hand gefertigte Foto ist leider etwas verwackelt und nicht datiert, aber trotzdem sehenswert. Es zeigt eine typische Nebenbahngarnitur mit Tenderlok und zwei- bzw. dreiachsigen Durchgangswagen in Aurich. Mit dem Wagen am rechten Bildrand (wohl ein BCi-28) sind immerhin auch ein paar Plätze der 2. Klasse verfügbar.
Ab 1912 war Aurich Heimatbahnhof für einige Akkumulatoren-Triebwagen, die teilweise sogar über Abelitz hinaus bis Norden und Leer fuhren. Zunächst wurden hier zweiteilige Fahrzeuge, ab 1913 dann dreiteilige Garnituren eingesetzt, für die ein Triebwagenschuppen und die notwendigen Einrichtungen zum Aufladen der Akkumulatoren errichtet wurden. Geladen wurde mit Strom aus dem Torfkraftwerk in Wiesmoor, das so auch in verbrauchsschwachen Zeiten einen zuverlässigen Abnehmer hatte.
Bereits 1920 wurde der Betrieb mit Speichertriebwagen von Aurich aus allerdings wieder eingestellt und die letzten beiden Fahrzeuge woanders beheimatet.
„Damals“: Die Strecke Abelitz – Aurich im Juni 2001
Am 19. Juni 2001 habe ich einen freien Nachmittag genutzt, um einen kurzen Spaziergang auf dieser Strecke zu machen. Zunächst wollte ich mich wegen einer entsprechenden Nachfrage nur vergewissern, ob die Weiche im Abzweig Abelitz noch vorhanden ist. Aber die Strecke ist auch sonst noch recht interessant, so dass ich einige hundert Meter im Bereich Abelitz-Georgsheil abgelaufen bin.
Der Anschluss an die Strecke Emden-Norden besteht nicht mehr, die Anschlussweiche ist bereits im Frühjahr 2000 ausgebaut worden. Vorhanden sind allerdings noch eine Schutzweiche mit dem dazugehörigen Stumpfgleis und das Einfahrtsignal (zwei Flügel, mit INDUSI-Magnet und Ersatzsignal) aus Richtung Aurich. Vom Signalfernsprecher steht aber nur noch das leere Gehäuse.
Auf dem Rückweg habe ich dann mein Augenmerk vor allem auf das Gleis gelegt. Insgesamt ist es mittlerweile recht „hübsch“ begrünt – einige Birken sind schon über einen Meter hoch – obwohl erst vor einigen Jahren (August 1996) hier eine Schaufahrt mit einem „Talent“ stattgefunden hatte, für die das Gleis komplett geräumt worden war. Wegen des schlechten Zustandes der Strecke durfte die Öffentlichkeit damals aber nur an einigen Pendelfahrten auf dem noch recht guten Gleis im Auricher Industriegebiet teilnehmen.
Die Schienen befinden sich augenscheinlich in einem – für das Alter – sehr guten Zustand, vom Rost mal abgesehen. Ich habe im Vorbeigehen Walzzeichen von 1907, 1915 und 1916 gefunden. Anders ist es dagegen um die Schwellen bestellt, die sich in sehr unterschiedlichen Stadien der Auflösung befinden: es reicht von „für eine Beetumrandung eigentlich noch zu gut“ über „schlecht“ bis hin zu „Mulch“ und „nicht mehr vorhanden“. Die Nägel mit dem Jahr der Tränkung reichen von 1907 bis in die vierziger Jahre (mit einigen „Ausreißern“ aus den frühen 50ern), die Masse stellen die späten 20er und die dreißiger Jahre. Erstaunlicherweise sind nicht die ältesten Schwellen die schlechtesten. Dem Erhaltungszustand nach zu urteilen fiel die Qualität etwa ab 1930/32 stark ab, die Jahrgänge bis ungefähr 1926/27 sind im großen und ganzen recht gut – teils auffallend – erhalten. Einige wenige Schwellen aus dem Jahr 1944 sind im Gleis eingebaut worden (jedenfalls auf dem von mir begangenen Abschnitt) und diese befinden sich im gleichen guten Zustand, wie die Exemplare aus den Zwanzigern, womit ich nicht gerechnet hätte. Entweder Zufall oder die Weltwirtschaftskrise machte den Schwellensägereien und -imprägnierwerken mehr zu schaffen, als der Krieg.
Zusammenfassend kann man sagen: Sollte die Eisenbahngesellschaft Ostfriesland-Oldenburg (EGOO) die Strecke Abelitz – Aurich tatsächlich übernehmen können (Bestrebungen in der Richtung gibt es seit Jahren), hätte man das Gleis nicht zu sanieren – die Arbeiten kämen eher einem Neubau gleich. Die mittlerweile fehlenden letzten zweihundert Meter beim Bahnhof Aurich mitsamt dem abgebauten Bahnübergang (Würde man die Wiedereinrichtung genehmigt bekommen?) stellen ein zusätzliches Problem dar. Bis vor kurzem hätte man noch auf die Abstellgleise (vom Bahnhof etwa 300 m Richtung Emden) ausweichen können, dort macht sich aber nun ein Stahlgroßhandel breit, der etwa die Hälfte der Anlagen als Lagerflächen nutzt. Die hinteren Gleise wurden etwa in der Mitte gekappt und entfernt, lediglich deren Weichen aus Richtung Abelitz mit jeweils einigen Metern Gleis liegen noch.
Der Auricher Bahnhof (seit 1995 Nebengebäude des Auricher Gymnasiums Ulricianum) von der Straßenseite …
… und noch mal von der Gleisseite.
Vor dem Güterschuppen stand von 1996 bis 1999 ein D-Zug-Speisewagen als Cafeteria der Schule. Da das Schuppengleis kurz zuvor abgebaut worden war, wurden hier für dessen Aufstellung rund 30 m Gleis neu verlegt. Der Waggon ging später an die Museumseisenbahn Küstenbahn Ostfriesland (MKO) in Norden.
Kein Biotop: Hier stand der Lokschuppen, der unter anderem von 1912 bis 1920 erst zwei-, dann dreiteilige Speichertriebwagen der Bauart Wittfeld beheimatete. Das Gebüsch rechts der Bildmitte sprießt in der Untersuchungsgrube.
1996: Ein „Talent“ auf dem Weg nach Aurich (noch 10 km – siehe Wegweiser), der Triebwagen passiert gerade den Bahnübergang der Straße nach Uthwerdum. Am 10. August 1996 wurden mit diesem Triebwagen, der am Tag zuvor angekommen war, einige Pendelfahrten zwischen Aurich und Abelitz durchgeführt.
Das Gleis verläuft zwischen Georgsheil und Aurich dicht neben der Bundesstraße 72 (beim Bau hieß das noch „auf der Chaussee“ und sparte beim Grunderwerb für die Strecke eine Menge Geld und Ärger), was die Wiederaufnahme des Betriebes nicht eben vereinfachte. In Moordorf beispielsweise hätte viele gerne gesehen, dass die Bahntrasse für die Verbreiterung der Bundesstraße genutzt worden wäre.
© Thomas Feldmann, Emden (Ostfriesland)
letzte Änderung 13.08.2024 (erstellt 08.08.2006)